Früher nannte man uns Krankenhausseelsorger*innen oder Krankenseelsorger*innen – das hat sich zum Glück geändert. Denn wir sind nicht nur für die Patientinnen und Patienten da, sondern auch für die Mitarbeitenden und die Angehörigen. Im Allgemeinen Krankenhaus (AKH) Celle teile ich mir diese Aufgabe mit meiner katholischen Kollegin Marika-Helena Burghardt. Wir sind ansprechbar für Fragen jedweder Art, kümmern uns vorrangig um seelsorgerliche Themen oder bieten Mediationen bei zwischenmenschlichen Konflikten an. Man kann sich direkt an uns wenden, in der Regel gehen wir aber auf die Menschen zu, um ein Gespräch anzubieten. So sieht man uns mal auf den Stationen im AKH, mal in der angeschlossenen Pflegeschule, mal im Hospiz. Je präsenter wir sind, desto mehr Kontaktmöglichkeiten ergeben sich.
Die Zeit ist knapp, die Belastung hoch
Durch die Pandemie hat sich einiges geändert. Vor allem die Zeit der Mitarbeiter*innen ist knapper geworden. Oft haben sie gar nicht die Zeit, sich auch mal um sich selbst zu kümmern, sich mit mir zusammenzusetzen und zu reden. Wer seine Schicht überstanden hat, will eigentlich nur noch so schnell wie möglich nach Hause. Neulich sagte eine Krankenpflegerin halb im Spaß zu mir: „Eigentlich könnten Sie von 9 bis 17 Uhr die ganze Zeit bei uns auf Station bleiben – am besten ziehen Sie sich gleich einen Kittel über.“ Das ist schade, weil die Belastung durch die Pandemie zugenommen hat und unsere seelsorgerliche Arbeit für die Mitarbeiter*innen an Bedeutung gewonnen hat.
Was die Patientinnen und Patienten betrifft, so bekomme ich einerseits Informationen von Mitarbeiter*innen, wer sich übet einen Besuch freuen würde. Andererseits suche ich mir gezielt Personen heraus, die schon einige Zeit im Krankenhaus liegen. Ich biete in allen Fällen ein Gespräch an. Nicht immer stößt mein Angebot auf offene Ohren. Nicht selten höre ich den Satz: „Was habe ich denn mit der Kirche zu tun?“ Ich komme als Seelsorger und habe keine konfessionellen Schranken im Kopf habe und bin für jede und jeden da, egal, wie sie oder er zur Kirche steht.
Meine Arbeit besteht vor allem im Zuhören
Wenn es dann zu einem Gespräch kommt, gibt es kein Zeitlimit. Meine Arbeit besteht vor allem im Zuhören. Ich gebe den Menschen die Chance, sich zu öffnen, mir ihr Herz auszuschütten. Manchmal geht es auch um praktische Hilfe. Ich organisiere eine Telefonkarte oder übernehme kleine Einkäufe. Viele Patient*innen beschäftigt die Frage, wie es mit ihnen in naher Zukunft weitergeht. Was sind konkret die nächsten Schritte der Behandlung, wer macht wann wie was? Da ich mich inzwischen recht gut mit den Abläufen im Krankenhaus auskennen, kann ich dazu hilfreiche Hinweise geben.
Als Seelsorger erlebe ich oft, dass mir Menschen Dinge anvertrauen, die sie bislang für sich behalten haben. Patient*innen, die ernsthaft vom Tod bedroht sind, machen sich Gedanken darüber, wie sie damit umgehen können. Manche sind zu müde, um zu kämpfen und wünschen sich ein Ende ihres Leidens, bringen es aber nicht übers Herz, ihren Angehörigen zu sagen, dass sie die nächste Chemotherapie am liebsten ablehnen würden. Bei solch sensiblen Themen ist meine Rolle, die des aktiven Zuhörers; die Entscheidungen müssen die Menschen selbst treffen. Dabei kann ich sie unterstützen und begleiten.
Mit dem Seelsorger spricht man erst auf dem Totenbett, das ist immer noch eine gängige Vorstellung
Dass ich ein Mann der Kirche bin, spielt bei meiner Arbeit nur indirekt eine Rolle. Ich gebe keine Themen vor, das machen immer die Gesprächspartner*innen. Wenn dann allerdings jemand die Floskel „Gott sei Dank“ benutzt, greife ich das schon auf und frage nach, wie sich diese Dankbarkeit ausdrückt. Als ich 2016 meine Arbeit im AKH Celle begann, fragte ich als Gast in einem Seniorenkreis, wer von den Anwesenden schon einmal im Krankenhaus gewesen sei. 100 Prozent Quote. „Und wer hatte schon mal Kontakt zur Krankenhaus-Seelsorge?“ Niemand meldete sich. „Warum denn nicht?“, wollte ich wissen. Antwort: Weil es so schlimm dann doch nicht gewesen sei. Mit dem Seelsorger spricht man erst auf dem Totenbett, das ist immer noch eine gängige Vorstellung. Im Krankenhaus spielt sich das ganze Leben ab. Von der Geburt bis zum Tod. Jeden Tag verlassen glückliche Menschen das Krankenhaus, weil sie wieder gesund geworden sind. Ein offenes und vertrauensvolles Gespräch tut wohl jedem gut.
Mir gibt diese Arbeit eine Menge, nicht zuletzt deshalb, weil ich sehe, dass ein Gespräch helfen kann. Mit meiner Kollegin oder mir zu sprechen, unterstützt Mitarbeitende bei ihrer schweren täglichen Arbeit, Kranke im kräfteraubenden Heilungsprozess oder Angehörige inmitten all der Sorgen und Nöte. Insofern bin ich dankbar, dass die Landeskirche und das AKH bei allen aktuellen Finanznöten die Seelsorge weiterhin so gut unterstützen. Zumal ich als Krankenhausseelsorger Menschen erreichen kann, die als Gemeindepastor außerhalb meiner Reichweite lägen.
Das Fundament meiner Tätigkeit ist mein Glaube
Jeder Seelsorger braucht auch Seelsorge für sich selbst. Ich tausche mich dafür mit Marika-Helena Burghardt aus und einmal im Monat mit anderen Kolleg*innen in der Supervision. Das Fundament meiner Tätigkeit ist mein Glaube. Er trägt mich und spendet mir Trost, wenn ich ihn selbst mal nötig habe.