Von der Würde der Erholung
„Du verreist?“ „Ja, ich muss mal richtig raus.“
In unserer Zeit hat die Frage nach Erholung eine ganz neue moralische Brisanz bekommen. Ist sie ein verzichtbarer Luxus oder hat es doch mehr mit ihr auf sich?
Erholung hat es mit Wieder-holung zu tun. Damit ist nicht gemeint, jedes Jahr wieder nach Dänemark zu fahren – so schön das sein kann – sondern sich selbst wieder einzuholen.
Das alltägliche Leben hat den Hang dazu, uns vor sich herzutreiben oder Berg für Berg unter unseren Weg zu schieben. So kann es geschehen, dass wir uns zunehmend fremdbestimmt fühlen und unfrei. Hieraus hilft einzig, dass ich mich wieder-hole; mir eine Zeit der Draufsicht gönne und so wieder bestimmen kann, was mir in meinem Leben wichtig ist. Dies kann dasselbe sein, was ich tagtäglich tue, aber erst nach diesem Perspektivwechsel bin ich mir dessen erneut bewusst und habe den Sinn meines Tuns zurückgewonnen.
Ein weiteres kommt hinzu, was ich an einem Beispiel einführen möchte: Kinder sind aus der Ferne betrachtet oder zurückgeholt oft viel lieblicher als im direkten Alltag. Dies zeigt sich etwa in der Verzückung von Großeltern über ihre Enkel. Die anteilnehmende Distanz, die nicht jeden Alltagsstreit mitbekommt – oder mit einem alten Wort gesprochen: die Muße – lässt unser Herz empfänglicher werden für dasjenige, was uns dankbar stimmen kann.
Das alte Volk Israel hatte dies erkannt und so schrieb es sich sogar in seinen Schöpfungsmythos, dass sich selbst Gott nach seiner Schöpfung eine Auszeit nahm und ruhte. Die 10 Gebote nehmen darauf Bezug. Die Aufforderung zur Ruhe am 7. Tag der Woche steht hier noch vor dem Tötungsverbot (2Mose 20,8-11).
Daraus spricht für mich die Einsicht, dass ein erholter Mensch leichter zum Guten fähig ist. Wer entspannt ist, ist freundlicher, toleranter, einfühlsamer und glücklicher.
Der Wert dessen ist kaum zu überschätzen.
Daraus folgt für unser Zusammenleben: wer die Bedeutung der Erholung herabwürdigt zu einem bloßen Luxus, oder es anderen Menschen durch übermäßige Hürden schwer macht, dem Alltag einmal zu entrinnen, sei es bei einer Reise in die Ferne oder einem kulinarischen Kurztrip in ein Restaurant, handelt entwürdigend.
In diesem Sinne: erholen Sie sich gut und gönnen Sie dasselbe Ihren Mitmenschen, denn das ist nicht nur erlaubt, sondern lebensnotwendig geboten.
Dr. Christian Rebert
Pastor in Wienhausen und Diakoniebeauftragter des Kirchenkreises Celle