Kleines Wort, große Wirkung
Treue, Barmherzigkeit, Liebe. Es gibt sie, diese Worte, deren Inhalt so schwer zu erklären ist. Sie sind schnell gesagt und meistens gehen wir bei der Verwendung davon aus, dass schon alle das Gleiche unter diesen Begriffen verstehen werden.
Dabei hat jeder und jede von uns andere Vorstellungen davon, wie der beispielsweise „Liebe“ mit Inhalt gefüllt wird und manchmal sind es ganz eigene Gefühle und Erfahrungen, die wir beschreiben, wenn wir die Tragweite dieses großen Wortes erklären wollen.
Ein weiteres Wort aus dieser „schwer zu erklären“-Kategorie ist „Gnade.“ In der Kirche ist häufig von ihr die Rede. Menschen werden in der Bibel als gnädig beschrieben, Betende bitten, Gott möge ihnen gnädig sein. Der Apostel Paulus schreibt eindringlich an die Gemeinde in Ephesus: „Aus Gnade seid ihr gerettet!“
Aber wie kann ich dieses große Wort anschaulich machen?
Es war in einer Konfirmandenunterrichtsstunde. Die Konfirmandin, mit der ich es an diesem Nachmittag besonders zu tun hatte, war nicht gut gelaunt. Sie sah keinen Sinn in unseren monatlichen Nachmittagen im Gemeindehaus und war oft mit den Gedanken wo anders. Wir versuchten in Kleingruppen, Psalm 23 in unsere moderne Sprache zu übersetzen. Im letzten Vers kommt der Begriff „Barmherzigkeit“ vor, noch so ein großes Wort. Gemeinsam suchten wir nach einer Erklärung, die im Wortschatz der Konfirmanden vorkam. Ich rang um eine Erklärung und zwischendurch fiel mir nur ein: „Man kann sagen, ein barmherziger Mensch ist gnädig.“ Dabei hatte ich nicht das Gefühl, irgendetwas einfacher gemacht zu haben… Auf einmal sah ich es in den Augen der besagten Konfirmandin aufblitzen. „Hat das was mit einem Gnadenhof zu tun? Da werden doch alte und schwache Tiere, die keiner mehr haben will, aufgenommen. Jemand kümmert sich um sie und sie bekommen zu essen, obwohl sie dafür überhaupt nichts mehr leisten können.“ Ich war ziemlich beeindruckt.
Diese Konfirmandin und ihre eigene Erklärung habe ich nun immer wieder im Ohr, wenn ich „Gnade“ höre. Mein Leben ist ein unverdientes Geschenk. Ich kann nichts tun und ich muss auch nichts tun, um es meinem Schöpfer zurückzuzahlen. Und darüber hinaus wird mir auch immer wieder alles geschenkt, was ich zum Leben brauche: Nahrung für den Leib, Nahrung für die Seele. Ich bekomme jeden Tag die Chance zu einem Neuanfang und weiß gleichzeitig, dass Gott mich so liebt, wie ich bin. Das bedeutet für mich Gnade.
von Judith Matthes, Pastorin in der Westerceller Christuskirche